Markus Steffen ist ein Multitalent des Fußballs. Neben Techniktraining für Profis und Talente in Nachwuchsleistungszentren bietet er Trainerworkshops, arbeitet als Dozent und unterhält einen vielgehörten Podcast. Darin kommen regelmäßig Experten rund um den Fußball zu Wort. Bei seinen Themen interessiert Markus auch besonders die Nachwuchsarbeit und neue Angebote bei der Ausbildung unserer Fußballtalente. Als er vom Start der ersten Agentur für Elternmanagement im Leistungssport DSE erfuhr, entstand der Kontakt. Das Ergebnis: Die Podcast Folge #196 zum Elternmanagement, gefüllt mit kurzweiligen 50 Minuten über die Herausforderungen für Sporteltern und ihre Familien. Dazu gibt es Tipps und Tricks, wie Nachwuchstrainer Eltern als Ressource für ihre Arbeit einsetzen können, was Perspektivmanagement bedeutet und warum der wertschätzende Umgang miteinander zu einer neuen Kultur und Identität eines NLZs, ja des gesamten Clubs führen wird.
In unserem Blogbeitrag haben wir Kernaussagen des Podcasts für Euch zusammengefasst. Auf jeden Fall aber lohnt es, das komplette Interview nachzuhören.
Auszüge aus dem Podcast „Elternmanagement im Leistungszentrum“
Markus: Hallo Achim, wir wollen ja heute über verschiedene Prozesse im Elternmanagement sprechen. Und der erste Prozess ist natürlich immer das Onboarding. Ich komme neu in ein NLZ, oder in einen Club. Was hast Du denn so für Tipps, was man vielleicht als Verein besser machen kann im Onboarding, was das Elternmanagement angeht?
Achim: Hallo Markus. Ja, das ist immer so ein ganz spannender Moment. das Thema Onboarding ist in aller Regel zunächst einmal am Scouting orientiert. Ein Kind wird gesichtet, über Scouts, Auswahlteams, oder über Jugendtrainer von NLZs. Und dann wirst du als Mutter oder Vater angesprochen. Dein Kind und Du bekommen die Chance, in ein NLZ einzusteigen. Ab jetzt ändert sich von einer Sekunde auf die andere wirklich blitzartig Deine Welt.
Ich selbst werde diesen Moment nie vergessen: Du betrittst das Nachwuchsleistungszentrum, in aller Regel von einem Amateurverein kommend, und fühlst dich wie gesagt in einer anderen Welt. Große Trainingsplätze, modernste Funktionsgebäude, ein sehr wertschätzendes Entgegenkommen. Zunächst von den jungen Spielern und Spielerinnen. Du wirst per Handschlag von Menschen begrüßt, die du gar nicht kennst. Auch von den Trainern. Der erste Eindruck ist immer sehr positiv. Und das soll auch so sein, gar keine Frage.
Worauf es aber letztendlich ankommt, ist gar nicht so sehr das, was du siehst, sondern das, was du ab sofort tatsächlich wissen musst. Gerade von Elternseite aus. Also beispielsweise die Tatsache, dass sich das Familienleben komplett verändert. Vereine und Trainer informieren aber in aller Regel nur über die Dinge, die innerhalb der Talentförderung passieren. Also was jetzt an Training künftig stattfindet, wie die Abläufe am Wochenende bei Spielen sind, dass es auch mal zu Turnieren weit entfernt geht.
Was man nicht erzählt bekommt, nicht weil es nicht gewollt ist, sondern weil es einfach nicht Teil der Talentförderung ist, sind zum Beispiel die Veränderungen, die in den Familien stattfinden. Beispielsweise das Thema Zeitmanagement, oder das sich die Wahrnehmung der ganzen Familie verändert. Denn Du wirst vom ersten Tag an, wenn Dein Kind das Logo eines prominenten Vereins der ersten, zweiten, dritten Bundesliga, oder vielleicht sogar eines Regionalligisten trägt, über dieses Bild definiert. Das spricht sich ja sehr schnell herum. Ob das jetzt bei deinem alten Heimatverein ist, oder bei der Familie, bei Freunden. Von jetzt auf gleich ändert sich die Wahrnehmung und da musst Du schon die Bodenhaftung behalten, dass das im Laufe der Zeit nicht etwas mit Dir macht, Dich verändert.
Es gibt noch ein zweites Thema, dass ich persönlich für sehr wichtig erachte, ohne dem Kind seinen Traum zu nehmen, am Ende des Weges einmal Berufssportler werden zu wollen. Es muss immer klar sein, dass diese Reise für die allermeisten eine Reise auf Zeit ist. Denn das ist Teil des Talentfördersystems. Und es gibt viel zu wenig Arbeitsplätze, als dass die vielen, vielen 1000 Mädchen und Jungen, die Jahr für Jahr ausgebildet werden, am Ende auch Profis werden können. Nichtsdestotrotz erleben Sie natürlich auf dieser Reise sehr viel Positives und das müssen die Spieler, das müssen auch die Eltern erfahren.
Markus: Ich glaube, es wird oft unterschätzt, wie viel Kraft eigentlich die Arbeit mit den Eltern hat. Wenn sie Fürsprecher sind, für das NLZ und auch die Unterstützung sehr groß ist, dann entwickelt sich das Talent natürlich am Ende deutlich besser. Aber mir kommt es manchmal so vor, dass Eltern so ein bisschen unerwünscht sind, in manchen Vereinen. Das fängt schon mit den Rahmenbedingungen an, vielleicht sogar mit dem Onboarding. Hauptsache, Eltern seid weit weg und nehmen nicht Teil am Prozess. Ich glaube, da ist so ein bisschen Angst, dass sie zu viel Einfluss nehmen könnten. Wie siehst du das ganz generell, dieses Verhältnis „Verein-Eltern“?
Achim: Ja, das ist ein total spannender Punkt, den Du gerade ansprichst. Ich bin voll und ganz bei Dir. Aber wenn man es einmal auf die Sachebene herunterbricht, wenn man mal versucht, so ein bisschen die Emotionen rauszunehmen aus diesem ganzen Thema, stellt man relativ schnell fest: Die Eltern hast du ja trotz allem immer mit bei. Und es ist definitiv auch nicht so, dass es ohne die Eltern ginge. Abgesehen von alledem sind sie eine wahnsinnige Ressource. Denn wer kennt schon ein Talent besser als seine Eltern, seine Geschwister, das engste soziale Umfeld? Die wissen alles über dieses Kind und Talent, was jetzt nicht speziell seine sportliche Begabung und die Entwicklungschancen betrifft. Es ist im Nachwuchsleistungssport ja immer sehr viel die Rede von Persönlichkeitsentwicklung. Wir möchten nicht nur Sportler, wir möchten auch junge Menschen entwickeln. Dann kommst du eigentlich gar nicht umhin, auch das soziale Umfeld mit einzubinden.
Eltern sind definitiv eine spannende und weitestgehend noch ungenutzte Ressource für die Talentförderung, weil ihr Image tatsächlich mit diversen Mythen und auch Vorbehalten behaftet ist. Dass ist übrigens der Grund gewesen, warum mein Buch über Sporteltern den Titel “Die allermeisten sind zahm” trägt. Es geht darum, dass die allermeisten Eltern wirklich umgängliche Menschen sind. Und wenn Du Dich einmal wirklich mit ihnen beschäftigst, wenn Du sie richtig einbindest, dann wirst Du feststellen, dass sie Dir sehr viel zu Deiner Arbeit im Nachwuchsleistungszentrum als Trainer, als Pädagoge, Arzt, Physio, sogar als Leiter beisteuern können.

Und ich sagte „Mythen“. Natürlich gibt es Eltern, die auffallen, die vielleicht mal bewusst, sehr oft aber auch unbewusst in die sogenannten “Elternfallen” tappen. Eltern, die falsch motivieren, oder die einfach nur versuchen, ihr Kind zu beschützen, dann emotional und nicht rational reagieren. Leider Gottes sind diese Kandidaten aber der Maßstab für gewisse, ich sage jetzt mal bewusst Sanktionen, die man Eltern gegenüber hält. Beispielsweise, dass Verhaltensregeln für Eltern aufgestellt werden, wie sie sich am Sportgelände verhalten sollen. Das ist vielleicht gut gemeint, aber nicht wirklich durchdacht. Oder es führt bis hin zur Tatsache, dass Eltern das Sportgelände zu Trainingszeiten gar nicht betreten dürfen. Ich würde es gerne umdrehen und mit den NLZs darüber reden, gemeinsam daran arbeiten, wie man die Eltern Teil der Reise werden lässt, sie tatsächlich als Ressource einsetzt.
Markus: Ich glaube ein großer Faktor ist Zeit, also die Zeit des Trainers. Und das andere ist, dass du natürlich das Gefühl hast, je intensiver du im Austausch bist, umso schwerer fällt dir später die Absage. Dann habe ich lieber ein distanziertes Verhältnis, damit es mir am Ende leichter fällt. Wobei ich zu dem Punkt mal kurz meine Meinung sage. Wenn Du die Eltern mitnimmst im ganzen Prozess, dann fällt die Absage deutlich leichter, weil man ja innerhalb der Gespräche schon die ganze Zeit Argumente austauscht, was nicht so läuft, wo es Probleme gibt. Dann kommt nicht alles geballt an einem Tag, sondern häppchenweise und man kann sich schon innerlich darauf vorbereiten. Also einfach so die zwei Punkte Zeitaufwand für die Trainer und die Absage. Was hältst du davon?
Achim: Da sprichst du mir aus der Seele, Markus. Das sind Themen, bei denen wir mit der DSE ansetzen. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, die mir original sagten, dass NLZ-Trainer schlaflose Nächste erleben, weil sie Angst vor den Selektionsgesprächen haben. Weil sie Angst davor haben: wie sagen wir es jetzt dem Talent, dem Kind und natürlich dann auch den Eltern, die in aller Regel mit bei sind.
Lasst uns den Trainern die Angst nehmen. Genau so, wie du es jetzt gerade beschrieben hast. Es ist selbstverständlich kein angenehmer und kein schöner Moment, wenn die Reise für ein Talent endet. Nichtsdestotrotz gibt es dafür ja Gründe. Das ist das eine. Das zweite ist, wenn man ein systematisches Perspektivmanagement etabliert, dauerhaft miteinander kommuniziert, über eine ganze Saison, dann gibt es immer die Möglichkeit, zu korrigieren, einzugreifen, zu unterstützen, weiterzumachen. Ich meine diese Zeit ist es doch allemal wert, zu investieren.
Markus: Was ich ganz spannend fand, ist, dass du gesagt hast: Perspektivmanagement ist besonders wichtig für Talente und Eltern. Und dieses Wort Perspektive finde ich so passend. Weil dieses von Saison zu Saison sich hangeln und immer Angst zu haben, aussortiert zu werden, ist natürlich auch immer so eine Sache, die das Klima im Club natürlich auch ein bisschen belastet. Besonders, wenn es zum Ende der Saison geht, wo man nicht weiß, geht es weiter oder nicht. Da finde ich so eine Perspektive für beide Seiten, also für Talente und Eltern, sehr wichtig. Was sagst du zum Thema Perspektivmanagement?
Achim: Du hast jetzt tatsächlich ein schönes Wort als Vorlage gegeben. Perspektivmanagement, das ist ein wichtiger Baustein unserer Arbeit, die wir als externer Begleiter den Nachwuchsleistungszentren anbieten. Und ich will es an dieser Stelle nur einmal erwähnen: Die DSE ist offen für alle leistungsorientierten Sportarten über den Fußball hinaus. Im Verein, an Olympiastützpunkten, in Leistungszentren, Förderzentren, oder Sportschulen.
Perspektivmanagement bedeutet, dass der Sport nicht das Einzige ist, worüber ein Talent sich identifizieren sollte. Schon gar nicht in nur einer einzigen Sportart. Andersherum gesagt. Es ist wichtig, dass Du auf der Reise in einem Nachwuchsleistungszentrum immer weißt, das Ende ist nicht das Ende, sondern das ist der Anfang von etwas Neuem, oder die Fortsetzung von etwas, dass schon immer in mir schlummerte. So, und der Weg dorthin und darüber hinaus, das ist das, was wir mit Perspektivmanagement meinen und begleiten.
Dafür müssen wir auch die Eltern immer mit im Boot haben, ihnen klar machen, versucht bitte das Leben Eurer Kinder auf mehrere Säulen aufzubauen. Damit an dem Tag, wenn es in einem NLZ endet, oder beim Übergang vom Junioren- in den Seniorenbereich, wo es jedes Jahr für die meisten nicht mehr weitergeht, trotz allem natürlich immer klar ist: Ja okay, das war es jetzt. Aber es gibt noch eine Reihe von Möglichkeiten und ich bin jetzt zwar enttäuscht, aber nicht überrascht. Denn ich weiß, was mein Kind vorhat, vielleicht in Zukunft zu machen. Übrigens, wenn Spieler und Eltern sich immer darüber im Klaren sind, wo das Talent steht, gibt es für Trainer überhaupt keinen Anlass zu glauben, dass der Fokus auf den Fußball verloren geht.
Markus: Was sind die Wünsche und Aussichten für Dich persönlich, für die nächsten Monate und Jahre?
Achim: Ich wünsche mir, dass dem Thema Elternarbeit bzw. Elternmanagement, egal ob von Verein oder Verband, in Zukunft Offenheit und Akzeptanz entgegengebracht wird. Dass man bereit ist, einfach einmal zuzuhören. Dass man, egal ob in den Leistungszentren selbst, oder mit unserer Unterstützung, diese ganzen Mythen und Vorbehalte aufbricht, wie: Eltern sind kompliziert, Eltern sind schwierig, Eltern sind ja nur auf Zeit da. Irgendwann gehen sie auch wieder.
Lasst uns das umkehren in einen offenen Dialog. Lasst uns die Ressourcen erkennen. Lasst uns das tatsächlich dafür nutzen, dass wir unsere Kinder, um die es geht, auf ihrer Reise beim Onboarding, über die Zeit in der Talentförderung, bis zur Deselektion bzw. bis zur Perspektive so gut und professionell wie möglich begleiten. Wirklich ganzheitlich, wirklich holistisch. Und lasst uns allem voran darauf achten, dass sie diesen ganzen Prozess so gesund wie nur möglich durchstehen.
Dass sie körperlich, aber auch psychisch diese wunderbaren Jahre in der Talentförderung und während ihrer wichtigsten Entwicklungsphase so abschließen, dass sie sagen: Es war tatsächlich die geilste Zeit meines bisherigen Lebens und ich habe auf nichts verzichten müssen, nichts geopfert – selbst wenn ich am Ende kein Profi geworden bin. Und das gleichfalls auch die Familien, die Eltern, das soziale Umfeld, alle, die unsere Talente neben den Trainern begleiten, ebenfalls sagen: Ja, Mensch, es war eine tolle Zeit, die wir da miteinander erlebt haben, die wir niemals vergessen wollen. Das ist mein Wunsch. Und da möchten wir mit der DSE so viel Beitrag wie nur möglich dafür leisten.
Den ganzen Podcast könnt Ihr hier mit nur einem Klick anhören. Viel Freunde beim Sammeln neuer Erkenntnisse.