Warum Elternmanagement die Leistungsentwicklung fördert
Ein wichtiger Baustein des Leistungssports ist die Sportpsychologie. Seit Jahren rückt sie mehr und mehr in den Fokus der Arbeit in Nachwuchsleistungszentren. So auch beim Halleschen FC. Dort arbeitet Janosch Daul in einem Team mit den Spielern, Trainern und ebenfalls mit den Eltern der Talente. Für den Sportpsychologischen Experten, Sportwissenschaftler und Systemischen Coach ist die wertschätzende Zusammenarbeit dieser Systeme rund um unsere Talente essenziell. Wie seine äußerst umfangreiche Arbeit aussieht, was er sich für eine ernsthafte Entwicklung selbstbestimmter Persönlichkeiten im Nachwuchssport wünscht und warum er Weiterbildungsmaßnahmen wie das neue IFI Intensivseminar „Elternmanagement im Leistungszentrum“ begrüßt, verrät Janosch im Gespräch mit den Deutschen Sporteltern.

Sportpsychologischer Experte Janosch Daul (Bild privat)
Janosch Daul bei „Die Sportspsychologen“: www.die-sportpsychologen.de
DSE Deutsche Sporteltern im Gespräch mit Janosch Daul vom Halleschen FC
Hallo Janosch, Du arbeitest schon seit Jahren als Sportpsychologischer Experte im Nachwuchsleistungszentrum des Halleschen FC. Was sind Deine eigentlichen Kernaufgaben?
Seit Ende 2017 arbeite ich nun für den Halleschen FC, seit 2020 auf Vollzeitbasis. Zusammen mit zwei angehenden Sportpsychologen, die aktuell noch studieren, bilde ich ein sportpsychologisches Kompetenzteam, das versucht, sportpsychologische Inhalte so umfassend wie möglich in die Ausbildung unserer Nachwuchsspieler zu integrieren. Angesichts von acht HFC-Jugendmannschaften und somit rund 160 Spielern und 25 Trainern braucht es eine stimmige Prioritätensetzung. Ich selbst zeichne mich primär für die Teams – und deren zugehörigen Trainern und Spielern – der U16 bis U19 verantwortlich, sowie für die Trainer der Teams der U11 bis U13, während meine beiden Kollegen für die U14 bzw. U15 tätig sind.
All meine Interventionen, die ich durchführe, zielen stets auf die drei übergeordneten Zielstellungen Persönlichkeitsentwicklung, mentale Gesunderhaltung und Leistungsentwicklung ab. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt im Spielercoaching. Ich arbeite mit unseren Spielern an psychosozialen Themen, aber auch an Themen, die mit mentaler Performance-Entwicklung in Zusammenhang stehen. Inzwischen kommen viele Spieler höchst proaktiv auf mich zu, wenn sie an einem Thema arbeiten wollen. In der Zusammenarbeit mit den Trainern nehme ich die verschiedensten Rollen ein: Mal Reflexionsanker, mal mentaler Mülleimer, mal Berater, mal Coach. Die Themenvielfalt in der Zusammenarbeit ist dabei enorm: Mit manchen Trainern geht es um persönliche Themen, mit anderen wiederum eher um ihr Coachingverhalten. In der Zusammenarbeit mit anderen Trainern steht die Frage, wie sich Teamprozesse stimmig gestalten lassen, im Vordergrund. Für nochmal andere ist etwas ganz anderes dran.
Zudem gestalte ich Teaminterventionen. Workshops sind hier an der Tagesordnung – z.B. entsprechend eines Konzepts zur Förderung der mentalen Stärke. Wir beschäftigen uns beispielsweise damit, wie sich mit Rückschlägen umgehen oder sich mental auf ein Spiel vorbereiten lässt. Zudem führe ich mentale Kurzinputs durch, die sich um mentale Leistungsfaktoren auf dem Spielfeld drehen: Wie kommuniziere ich auf dem Feld? Wie gehe ich mit meinen Emotionen um? Wie lege ich eine dominante Körpersprache an den Tag? Teilweise leite ich auch auf dem Feld Trainingsformen an, in denen wir mentale Kompetenzen wie Druckresistenz schulen.
Eine weitere Säule meiner Arbeit besteht in der Trainings- und Spielbeobachtung. Ich zeige im Rahmen von Spielen und Trainingseinheiten Präsenz und gebe im Anschluss an das Training oder Spiel unseren Spielern und Trainern – nach erfolgter Auftragsklärung – zielgerichtet Feedback, bezogen auf mentale und soziale Gesichtspunkte, die ich im Training bzw. Spiel wahrgenommen habe. Und zu guter Letzt nehme ich auch die Arbeit mit unseren Eltern in den Blick.
Ein gutes Stichwort. Zu all Deinen umfangreichen Kernaufgaben als Sportpsychologischer Experte kümmerst Du Dich zusätzlich um die Eltern Eurer Talente. Wie können wir uns diese Arbeit vorstellen?
Mein Fokus liegt auch hier auf der Arbeit mit den Eltern der Teams U16 bis U19. Grundsätzlich ist es mir wichtig, gleich zu Beginn einer Saison, wenn die typische „Elternversammlung“ ansteht, Präsenz zu zeigen. Die Eltern sollen von Anfang an „ein Gesicht“ als Ansprechpartner vor Augen haben und mich und meine Funktion einordnen können. Auf Grundlage der Elternversammlung gestalte ich dann in jeder Saison mit den Eltern der jeweiligen Teams einen „Impulsworkshop“, in dem ich mich ebenso wie die Sportpsychologie genauer vorstelle, aufzeige, wie ihre Söhne mit mir zusammenarbeiten können, um dann die so wichtige Elternrolle in den Fokus zu rücken: Wie ist die Rolle der Eltern im System Nachwuchsfußball verortet? Wie können die Eltern mit mir – und auf welche Themen bezogen – zusammenarbeiten? Und wie können wir im Zusammenspiel einen Beitrag zur mentalen Gesunderhaltung unserer Spieler leisten?
Anschließend bekommen die Eltern eine Übersicht über mögliche Themen zugeschickt, an denen sie mit mir arbeiten können, sowie kleine „Elternvideos“, in denen ich nochmal mündlich Stellung beziehe zu diesen einzelnen Themen. Diese Impulsworkshops bieten einen Rahmen, innerhalb dessen ich dann im Laufe der Saison Eltern mit ihren Themen unterstütze. Dabei sind diese dann selbst gefragt, proaktiv auf mich zuzukommen. Ich versuche allerdings auch indirekt „Elternarbeit“ zu betreiben, indem ich einzelne – besonders daran interessierte – Trainerteams berate, wie sie in ihrer Trainerrolle möglichst stimmig mit den Eltern zusammenarbeiten können. Ich möchte aber ehrlich sein: Aufgrund meiner Kernaufgaben, die zeitlich viele Ressourcen in Anspruch nehmen, nimmt die Arbeit mit den Eltern eher eine untergeordnete Rolle eine.

Darum brauchen Sporteltern dauerhafte Unterstützung
Und wie empfinden die Eltern Deine Angebote?
Ich nehme viel Wertschätzung wahr. Sehr oft bekomme ich ungefragt und unverhofft ein Feedback von Eltern, die eine extreme Dankbarkeit für meine Arbeit mit ihren Kids ausdrücken. Besonders viel Wertschätzung erhalte ich, wenn ich Eltern in direkter Zusammenarbeit wirkungsvoll unterstützen konnte. In der Arbeit mit einer Mutter beispielsweise ging es darum, wie und wann sie ihrem Sohn von einer vorliegenden schwerwiegenden Erkrankung eines Familienmitglieds erzählen sollte. Mit einer anderen Mutter besprach ich, wie ihr Sohn angesichts dessen Heimwehs bestmöglich unterstützt werden kann. Es gibt allerdings auch Eltern, mit denen ich keinerlei Kontakt habe – dies sind zumeist die Eltern, die weit weg wohnen, auch beim Impulsworkshop nicht dabei waren und (noch) nicht so in das Gesamtsystem eingebunden sind, wie ich mir dies wünschen würde.
Das „Elternmanagement“ ist ja seit der Saison 2023/24 zu einer Lizenzierungsauflage des DFB für alle Nachwuchsleistungszentren geworden. Hältst Du das für ein sinnvolles MUSS, oder siehst Du in der Arbeit mit den Sporteltern sogar ein bereicherndes MEHR als Teil der Talentförderkonzeptionen aller Leistungszentren, oder bei Verbänden des Spitzensports – vielleicht sogar über den Fußball hinaus?
Für Leistungszentren gilt es, ein möglichst funktionierendes Unterstützungssystem für jeden einzelnen Spieler mitzuentwickeln. Das System besteht aus dem Spieler selbst, der im Mittelpunkt steht, seinen Trainern, seiner Familie, seinem Freundeskreis und weiteren für ihn systemrelevanten Personen. Doch es braucht Arbeit, damit es sich wirklich zu einem Unterstützungssystem entwickelt. Dies ist dann der Fall, wenn alle Systembeteiligten in einem Boot sitzen, in eine Richtung rudern und der Spieler dabei maßgeblich Selbstverantwortung für seine Weiterentwicklung übernimmt.
Besonders wichtige Helfer für die Spieler sind zweifelsfrei die Eltern, denn sie sind es, zu denen die Spieler oftmals die größte emotionale Bindung besitzen und einen enormen Einfluss ausüben. Zugleich sind sie für ein Funktionsteam der wichtigste Partner für die ganzheitliche Entwicklung der Spieler. Es ist von zentraler Bedeutung, sie von der eigenen Arbeit zu überzeugen, sie auf dem gemeinsamen Weg mitzunehmen und mit einzubinden, aber auch stimmige Grenzen zu setzen. Es geht darum, gemeinsam in Austausch darüber zu treten, welches Elternverhalten für die Entwicklung des jeweiligen Spielers funktional ist und wie die Kooperation zwischen Trainern und Eltern aussehen sollte, um dem Spieler zu dienen.
Trainer sollten darauf hinarbeiten, dass sich die Eltern ihrer Spieler gebraucht und wertgeschätzt sowie als Teil des Ganzen fühlen. Gelingt es einem Trainer, diese Aspekte umzusetzen, so stellt – dann in hohem Maße funktionales – Elternverhalten eine enorme (und noch vielerorts enorm unterschätzte und stiefmütterlich behandelte) Leistungsressource dar. Aus diesen Gründen ist ein zielgerichtetes Elternmanagement ein zwangsläufiges MUSS.
Was Leistungszentren in der Elternarbeit tun können
Was genau sollten unsere deutschen Leistungszentren etablieren, um zigtausende von Sporteltern, oder auch die meist im Verzicht lebenden Geschwister der geförderten Talente wertschätzend zu unterstützen?
Zunächst einmal braucht es ein Erkennen der Wichtigkeit, funktionierende Unterstützungssysteme für den Spieler mitzuentwickeln und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, Elternmanagement ganzheitlich und systematisch zu betreiben. Noch immer nehme ich Stimmen in den Leistungszentren wahr, die rufen: „Eltern – mit denen sollten wir so wenig wie möglich zu tun haben!“ Aus meiner Sicht der völlig falsche Ansatz, oft das Resultat von negativen Vorerfahrungen mit einzelnen Elternteilen, die nicht stimmig in das System eingebunden wurden. Ein Schuh, den sich dann nicht selten auch die Vereine selbst anziehen müssen.
Ich persönlich bin der Überzeugung, dass zum Beispiel die verpflichtende Einstellung eines Elternmanagers in den Leistungszentren ein großer Schritt in die gewünschte Richtung sein könnte. Dieser Manager könnte sich für die Gesamtkoordination und Strukturierung aller Prozesse verantwortlich zeichnen, die im Zusammenhang mit einer ganzheitlichen Elternarbeit anfallen, beginnend mit Onboarding-Prozessen beim Eintritt ins System Leistungszentrum. Darüber hinaus könnte er im Zusammenspiel mit den/dem angestellten Sportpsychologen Workshops auf den Weg bringen, welche die Eltern befähigen, Kompetenzen weiterzuentwickeln, die es für ein stimmiges Ausfüllen der Elternrolle benötigt.
Du sprichst die feste Position des unabhängigen Elternmanagers im Leistungszentrum an, dessen Aufgaben Du laut Lizenzierungsordnung als „Beauftragter“ ja noch miterledigst – so wie es derzeit übrigens vielerorts gehandhabt wird. Jetzt mal Hand aufs Herz, Janosch: Reichen Deine Kapazitäten als Sportpsychologischer Experte, oder die Deiner Kollegen, dafür auch nur annähernd aus – wir reden ja von 300 bis 400 Eltern in jedem Leistungszentrum?
Angesichts der Vielzahl an Systembeteiligten – allein Spieler und Trainer – kann der Sportpsychologische Experte aus meiner Sicht niemals der Hauptverantwortliche für ein systematisches Elternmanagement sein. Wie soll er, allein zeitlich gesehen, die Ressourcen dafür aufbringen? Nein, es braucht jemanden, der für diesen so wichtigen Aufgabenbereich die Hauptverantwortung übernimmt – z.B. einen Elternmanager -, und dabei eine Struktur entwickelt – im engen Zusammenspiel mit der Leitung des Leistungszentrums. Der Sportpsychologische Experte und andere Mitglieder des gesamten NLZ-Funktionsteams können dann dabei helfen, diese Struktur im Alltag nachhaltig mit Leben zu füllen.
Endlich starten Weiterbildungsangebote für Führungskräfte
Für diese Beauftragten, oder besser hauptamtlichen Elternmanager im Leistungszentrum braucht es eine professionelle Qualifikation zum Elternmanagement im Nachwuchsleistungssport. Wie siehst Du dafür die Angebote in der Aus- oder Weiterbildung?
Ausbaufähig. Mir sind kaum Angebote bekannt, die darauf abzielen, Personen in Leistungszentren, die sich mit dem Thema Elternmanagement beschäftigen in ihrer Qualifikation zu unterstützen. Das Intensivseminar „Elternmanagement im Leistungszentrum“ des Internationalen Fußballinstituts IFI in Kooperation mit der DSE stellt hier sicher einen sehr vielversprechenden Ansatz dar.
Ich kann mir zudem gut vorstellen, dass der DFB künftig Angebote schaffen wird, die sich primär an die Personen richten, die in den Leistungszentren fürs Elternmanagement zuständig sind. Aktuell beschäftigt sich der Verband ja ganz besonders damit, wie Trainerqualität in den Leistungszentren weiterentwickelt werden kann. Bis zu einem gewissen Grad zählt im außersportlichen Bereich dazu eben auch die wertschätzende Arbeit mit den Eltern ihrer Spieler.

Wie eine echte Wertekultur möglich ist
Janosch, wenn wir Dir abschließend einen Wunsch für die Förderung unserer Toptalente erfüllen könnten: Was wäre zu tun, um die Reise der Jungen und auch Mädchen (hier denken wir an die neuen Leistungszentren FLZW für Juniorinnen ab der kommenden Saison 2025/26) so viel wie möglich mit Freude und Spaß zu erfüllen, um sie psychisch und physisch gesund zu entwickeln – ganz egal wie lange diese Reise dauern mag?
Eine komplexe Frage. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich mir mehr externen Support, oder noch besser die zusätzliche Anstellung von qualifiziertem Personal in den Leistungszentren wünschen. Fachkräfte oder Personal, das – in der jeweiligen Funktion – den Blick über den rein sportlichen Tellerrand hinaus wirft und hilft, eine Vereinskultur zu entwickeln, die „weichen“ Faktoren noch mehr Rechnung trägt. Eine Kultur, in der eine Form von psychologischer Sicherheit geschaffen wird, Werte auch tatsächlich gelebt werden und die ganzheitliche Entwicklung unserer Talente nicht nur auf dem Papier als Ziel definiert wird. Und zum anderen eine Kultur, die dabei unterstützt, semiprofessionelle Strukturen, zum Beispiel bezogen auf Bereiche wie das Elternmanagement, weiterzuentwickeln. Strukturen, die – wenn sie dann durch qualifiziertes Personal mit Leben gefüllt werden – letztlich der sportlichen wie persönlichen Weiterentwicklung unserer Talente in den Leistungszentren zu Gute kommen.
Doch allesentscheidend dabei wird die Haltung der Entscheidungsträger in den Leistungszentren sein: Wie sehr möchten wir als Leistungszentrum mündige sowie selbstbestimmte Sportlerinnen, Sportler und verantwortungsbewusste Persönlichkeiten entwickeln? Und was sind wir dafür zu investieren bereit? Aus meiner Sicht wird oftmals noch zu wenig komplex, langfristig und ganzheitlich gedacht.
Eine treffliche Zusammenfassung anstehender Herausforderungen in sicher sehr vielen Nachwuchsleistungszentren. Und ebenfalls eine spannende Chance, in Sachen sozialer Nachhaltigkeitskonzepte neue Wege zu gehen. Vielen Dank Dir, Janosch, für spannende Einblicke in Deine Arbeit als Sportpsychologischer Experte, wie auch als offener Ansprechpartner für ein wertschätzendes Elternmanagement beim Halleschen FC.